13. Oktober 2008

Eskapismus

Ja, ich weiß, sperriger Titel. Passte aber meines Erachtens ganz gut. Die Idee zu diesem Gedicht hatte ich an einem Donnerstag abend vor einem Slam. Eigentlich hatte ich vor, an diesem Slam Klassenkampf in Linie 7 zu lesen, das ich schon für den Slam mit Zuviel Haut und Valium in der Hinterhand hatte, für den Fall, dass ich es ins Halbfinale geschafft hätte. An besagtem Donnerstag hatte ich allerdings bei einer Freundin einen Film gesehen (ich glaube, es war The Illusionist mit Edward Norton), es wurde spät, und ich schlief auf ihrer Couch. Und wie ich so langsam dahindöse, kommt mir eine Idee. Was passiert in Fantasy-Welten eigentlich, nachdem der Tyrann gestürzt und die Prinzessin gerettet ist? Ich ließ mir von meiner Gastgeberin noch schnell einen Zettel und Stift geben und kritzelte schlaftrunken ein paar Stichworte im Licht der von außen durch den Vorhang scheinenden Straßenlaterne. Drei Tage später musste ich tagsüber noch arbeiten und habe bei jeder Gelegenheit meinen Block herausgekramt, um weiter an Eskapismus zu schreiben. Und ich kam und kam nicht zum Ende, weil mir immer noch ein Schnörkel mehr für die Abenteuer von Carlos und Rock einfiel. Fertig wurde ich dann tatsächlich zehn Minuten vor Beginn des Slams, sehr zum Erstaunen von Mike Godyla. Das Ergebnis gefiel mir so gut, dass ich es zusammen mit Valium beim NRW-Slam 08 in Münster gelesen habe.

Eskapismus

Rock der Held und der Zwerg namens Carlos
leben im Wald und nicht gerade gefahrlos.
Ihr Alltag besteht aus dem Töten von Schergen
des Bösen Barons von den Blutigen Bergen.

Das ganze Imperium hat er schon versklavt
und zahllose Schätze zusammengerafft.
Und weil sich das für einen Schurken gebührt,
hat er noch die Elfenprinzessin entführt.

Für Carlos und Rock eine Standardmission,
denken sie. Leider falsch, denn der böse Baron
hat mit ihr als Köder 'ne Falle gestellt.
Und sie schnappt dann auch zu, darin sitzt Rock der Held.

Zwerg Carlos hat nun nicht mehr sehr lange Zeit,
bis zum Tod beider Geiseln ist es jetzt nicht mehr weit.
Der Baron will Held Rock jetzt schnell exekutieren,
um ein Exempel zu statuieren.

In der Taverne der Wirtin Erika
trifft Carlos auf Magnus den Kleriker.
Auch Finn der Dieb will nicht fehlen,
der Baron hat viele Schätze zum Stehlen.

Zu dritt zieh'n sie los, die Sonne im Nacken,
um Rock zu befrei'n, den Baron zu zerhacken
und nebenbei der Prinzessin der Elfen
diesmal aber richtig zur Flucht zu verhelfen.

Sie erreichen die Festung im Schutze der Nacht.
Zuerst wird die Torwache flink umgebracht.
Danach eilt der Dieb schnell das Fallgitter rauf,
die Wachen auf der Brüstung geben gleich kampflos auf.

Nach viel Metzelei sind sie im vierten Stock
und öffnen geschwind dort die Zelle von Rock.
Zu viert kämpfen sie sich jetzt weiter zum Mädel
und spalten dabei auf dem Weg viele Schädel.

Manche längs, manche quer, und so manchen gleich doppelt
oder dank Magnus noch mit 'nem Blitzstrahl gekoppelt.
Erst kurz vor dem Elfenverlies kommt der Schrecken,
weil zwei Riesenzyklopen die Zähne dort blecken.

Finn zielt auf ein Auge, doch der monströse Schuft
fängt den Armbrustbolzen direkt aus der Luft.
Der and're verweist mit gigantischen Pranken
g'rade Carlos den Zwerg in seine Schranken.

Das bringt Rock jetzt in Rage, er brüllt, und er rammt
dem einen Einauge sein Schwert in die Hand.
Dieser hebt seinen Arm, Rock den Helden gleich mit,
und es beginnt ein merkwürdiger Ritt.

Der Gigant heult vor Schmerzen, seine Hand ist gepfählt,
und auf seinen Schultern sitzt jetzt Rock der Held.
Rock, der hält sich jetzt fest an den zottigen Haaren
und rammt seine Klinge ins Ohr des Barbaren.

Der andere Polyphem lässt ab vom Zwerg,
macht ein'n Schritt zurück und betrachtet sein Werk.
Rock springt von seinem gefällten Giganten
direkt auf den and'ren und bringt ihn ins Wanken.

Er zieht ihm den Scheitel nach mit seinem Schwert.
Das einzelne Auge schielt noch kurz sinnentleert,
dann sinkt er zusammen, die Lache ist rot,
er röchelt noch kurz, und ist dann auch schon tot.

Magnus der Kleriker stellt fest mit Scharfsinn:
Dort vorn ist die Zelle der Elfenmonarchin.
Die Tür ist verschlossen, doch dank dem Zwergenstahl
der Streitaxt von Carlos ist auch das ganz egal.

Drei Hiebe, die Tür zerspringt mit lautem Krachen,
davon alarmiert erscheinen zwei Wachen.
Sie seh'n die Zyklopen, oder vielmehr die Reste,
und das Weite zu suchen, halten sie für das Beste.

Und so ist die Prinzessin jetzt endlich befreit,
den Tyrannen zu stürzen ist es jetzt an der Zeit.
Doch es riecht nach Asche und verbranntem Haar:
Der Baron hat einen Feuerelementar.

Nach all den Strapazen gibt ein Held doch nicht auf,
und so nimmt Rock jetzt halt auch Brandwunden in Kauf.
Er stürzt sich mit Mut auf das brennende Ding,
einen kleinen Schutz bietet sein magischer Ring.

Magnus spricht göttliche Angriffsmagie,
und schon geht der Elementar in die Knie.
Der Baron fleht um Gnade, hebt bettelnd die Hände,
doch Carlos setzt nun seiner Herrschaft ein Ende.

Der Baron ist vernichtet, das Reich ist befreit...
zumindest für absehbare Zeit.
Denn der nächste Tyrann wartet doch sicher schon,
übernimmt bald das Zepter vom bösen Baron.

Für Helden gibt es immer etwas zu tun.
Doch nun haben sie endlich Zeit, auszuruh'n.
In Erikas Schänke, bei Spießbraten und Met,
da fliehen sie vor ihrer Realität.

Carlos spielt einen Schüler, Rock einen Buchhalter,
Magnus den Kassierer am McDonald's-Schalter.
Finn spielt einen kleinen Ganoven mit Stil,
die Prinzessin leitet das Spiel.

Es ist eine Welt voller Fantasie,
mit zahlreichen Maschinen, doch ohne Magie.
Keine Untoten, Trolle oder Telepathen,
dafür Kapitalisten und Bürokraten.

So verbringen die fünf auch schon mal ganze Nächte
und kämpfen, mit Würfeln bewaffnet, Gefechte.
Die anderen Helden schütteln nur die Köpfe,
es gibt doch keine Welt voller Schalter und Knöpfe.

Voller Autos, Computer und Eisenbahn,
so mit Kernkraft, Ozonloch und Wireless-Lan.
Doch die fünf stören sich nicht an solchen Banausen.
Als Weltenretter braucht man manchmal halt Pausen.

Carlos der Zwerg ist natürlich eine Anspielung auf die US-Serie Freaks & Geeks mit James Franco, Seth Rogen und Jason Segel. Magnus und Rock waren zwei meiner Charaktere in Dungeons und Dragons. Finn, der Dieb, war ein dritter, allerdings hieß er bei mir damals Leonidas. Seit 300 verfilmt wurde, weckt der Name allerdings zu viele andere Assoziationen, außerdem reimt er sich nicht gerade auf sehr viele Wörter. Und noch mehr Augenroller wie Erika/Kleriker wollte ich dann doch nicht reinnehmen.

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