27. August 2010

Wahrheit

Am Ende ist natürlich alles egal. In den letzten Sekunden vor dem Big Crunch, bei dem sich das gesamte Universum innerhalb weniger Sekunden auf die Größe des Kopfes einer Stecknadel kontrahiert, die am Revers eines Engels steckt, der mit Milliarden weiterer Engel auf dem Kopf einer Stecknadel tanzt, in diesen Sekunden vor dem Ende von allem, was ist, da ist absolut alles egal. Jahrmillionen nachdem selbst die Kakerlaken ausgestorben sind, Äonen nach dem Ende der Ewigkeit, wirklich ganz am Ende der Existenz, wenn selbst Gott langweilig geworden ist und er einen Schlussstrich unter das Ganze setzt, wenn er Himmel und Hölle dicht macht, wenn am Ende nur noch das Wort übrig ist, der Geist Gottes wieder über dem Wasser schwebt und dann das Licht aus macht, dann kümmert es niemanden mehr, ob Du zwei Milliarden Euro auf dem Konto hattest oder ob Dein Dispo überzogen war. Dann ist niemand mehr da, der der Frage nachgeht, ob Du dreimal täglich Zahnseide benutzt hast, ob Du beim Kiffen inhaliert hast oder wie hoch Dein High Score bei Tetris war. Ganz am Ende ist selbst das egal.

Aber bis dieser Punkt erreicht ist, gibt es die Wahrheit. Denn es ist die Wahrheit, die zuletzt stirbt, noch lange nach der Hoffnung. Allerdings weiß kaum einer, dass Wahrheit relativ ist und nicht an Tatsachen gebunden. Wahrheit ist das einzigartige Phänomen einer funktionierenden absoluten Demokratie. Denn Wahrheit ist, was die Mehrheit glaubt. Und nichts anderes. Gab es die griechischen Götter um Zeus, Hera, Dionysos und Poseidon wirklich? Waren sie nur Reisende von anderen Planeten? Oder waren sie fiktive Protagonisten, die wie Sherlock Holmes, Batman, James Bond oder Andi Strauß durch verschiedene Geschichten von verschiedenen Autoren geistern, weil das Publikum sie mag? Die Wahrheit ist, was die meisten Menschen glauben. Wenn die meisten Menschen heute glauben, dass die antiken Götter nur der Versuch der damaligen Priester war, der breiten Masse ihren Willen als Gesetze von höheren Existenzen zu verkaufen, dann ist genau das die Wahrheit. So wie die Wahrheit damals war, dass die griechischen Götter tatsächlich existierten. Das glaubten damals die meisten Menschen (bis auf die Priester), also war das die Wahrheit.
Und wenn in dreißigtausend Jahren irgendwelche Archäologen vom Planeten Pffrt ein Green Lantern-Comic oder eine DVD-Box von LOST oder eine Ausgabe der Bild-Zeitung finden und das ganze für historische Aufzeichnungen halten, dann werden sie das auch für die Wahrheit halten, und dann wird das die Wahrheit sein.

Was uns natürlich eine riesige Chance gibt. Denn das bedeutet, dass wir heute entscheiden können, was in dreißigtausend Jahren wahr ist. Wir können beispielsweise diesen Text in eine Zeitkapsel legen, um der Nachwelt ein für alle Mal zu zeigen, was die Wahrheit ist. Denn die Alternative wäre viel zu langweilig. Geschichte wird von den Siegern geschrieben. Die Wahrheit… von uns.

Bei L. Ron Hubbard hat das auch geklappt. Der hat sich eine bekloppte Geschichte um Xenu, Thetans und goldene Flugzeuge ausgedacht, und Tom Cruise, John Travolta, Jason Lee und Beck halten das heute für die Wahrheit und geben dafür ein Heidengeld aus.

Also gut. Liebe Archäologen vom Planeten Pffrt. Das folgende ist die Wahrheit, die reine Wahrheit und nichts als die Wahrheit. So wahr mir Zeus helfe.

Elvis lebt. Tupac lebt. Michael Jackson lebt. Und sie treffen sich einmal in der Woche, um zusammen zu jammen. Paul McCartney hingegen ist 1966 gestorben und wurde durch ein Double ersetzt. Das gleiche ist übrigens 1998 mit Christopher Walken passiert.

Ein kleines Steak ist so wertvoll wie ein Becher Fruchtzwerge.

Die CIA hat einen Schimpansen trainiert, von einem Grashügel aus John F. Kennedy zu erschießen, weil dieser wusste, dass in der Area 51 der heilige Gral aufbewahrt wird.

Lady Gaga macht gute Musik und hat diesen ganzen schrillen Schnickschnack gar nicht nötig.

Freimaurer, Illuminaten oder Skulls & Bones gibt es gar nicht wirklich. Sie sind eine Fassade, damit niemand dahinter kommt, dass eine Gruppe intelligenter Grippeviren aus Albuquerque im Hintergrund die Fäden zieht.

Pluto ist ein Planet.

OJ Simpson hat seine Frau nicht umgebracht. Helene Hegemann hat alles selbst geschrieben. George Bush jr. wurde im Jahr 2000 demokratisch zum Präsidenten gewählt. Und Bill Clinton hatte wirklich keinen Sex mit Monica Lewinski.

Jeder einzelne Mensch, der behauptet, von Aliens entführt worden zu sein, hat Recht.

Vampire existieren. Aber sie sind keine zwielichtigen Gestalten, die im Sonnenlicht glitzern, sondern explodieren in einer stinkenden Staubwolke. Werwölfe hingegen sind frei erfunden. Außer in Lappland.

Von allen Religionen, die es heute gibt, ist das Christentum die richtige. Die Welt, das Universum und all seine Bewohner wurden in sieben Tagen von Gott erschaffen, der die Schöpfung danach in ein gigantisches Terrarium gesteckt hat, daneben hängt ein Schild mit der Aufschrift „Bitte nicht füttern.“ Erdbeben, Tsunamis und Flutkatastrophen werden dadurch ausgelöst, dass Jesus, bei dem nicht bloß die Eltern miteinander verwandt sind, sondern der auch noch sein eigener Vater ist, mal wieder Wasser zu Wein gemacht hat und im Vollsuff gegen das Terrarium stolpert.

Windows 7 ist das beste Betriebssystem der ganzen Welt, und ein iPad ist ohne diesen ganzen Schnickschnack wie USB oder Flash-Animationen viel besser als ein Laptop.

Ja, der Fisch, den ich gestern gefangen habe, war wirklich so groß, ich bin die Reinkarnation von Jim Morrison, ich kann jederzeit mit dem Rauchen aufhören, und außerdem hab ich den Längsten.

Und das… ist die Wahrheit.

How to Break a Streit vom Zaun

Ich stehe vor dem Arkaden-Einkaufszentrum und warte. Mit dem halben Arsch sitze ich auf dem einzigen freien Fahrradständer, und ich lese ein Buch. Zumindest versuche ich das, aber meine geradezu homöopathisch verdünnte Konzentration führt dazu, dass ich jeden Absatz zweimal lese.
Ich warte.

Vor mir ist ein ständiges Kommen und Gehen. Menschen betreten oder verlassen das Einkaufszentrum oder die angrenzende Sparkasse, um Geld einzuzahlen oder ihre Kontoauszüge daraufhin zu überprüfen, ob der diskrete Versand mit der Einzugsermächtigung als Verwendungszweck tatsächlich wie vereinbart Finanzdienstleistungen angegeben hat. Denn es ist schwer zu sagen, was peinlicher wäre: Der vollständige Titel Natur-Sekt Direkt Aus Prachtschwänzen… oder die Abkürzung… Aber ich schweife ab.

Ich stehe also noch immer vor dem Arkaden-Einkaufszentrum und warte. Mit dem halben Arsch sitze ich auf dem einzigen freien Fahrradständer, und ich lese ein Buch. Zumindest versuche ich das, aber meine geradezu homöopathisch verdünnte Konzentration führt dazu, dass ich jeden Absatz zw… das hatte ich doch schon.
Ich warte.

Hinter mir, hinter den Fahrradständern, ist die Straße. Und da brausen gerade an der auf grün springenden Ampel gefühlte viertausend Autos los, als gäbe es nur noch drei freie Plätze im Parkhaus des Bundesamtes für völlig sinnlose Bargeldverschenkung. Wenn man seine Lebenserwartung auf die Menge meiner verbliebenden Konzentration reduzieren wollte, dann wäre es nicht die schlechteste Idee, einfach zwischen die Autos von Nick Heidfeld und Fernando Alonso zu springen. Aber ich schweife ab.

Ich stehe also immer noch vor dem Arkaden-Einkaufszentrum und… ach, das ist doch albern.

Von rechts betritt ein… ich sag jetzt mal euphemistisch „Mensch“ mein Blickfeld. Etwa so groß wie Asterix, etwa die Figur von Obelix, und der sagenhafte Schnurrbart würde sich ebenfalls chamäleonartig in das Gallische Dorf einfügen. Oder in einen schlechten Porno aus den Siebzigern. Ich verliere mich gerade in Gedanken über eine Pornoparodie von Asterix, Arbeitstitel: Gangbang für Falbala, als mich der Mann, der an dem Schnauzbart dranhängt, eloquent und freundlich anspricht: „Ey.“

Ich sehe langsam wie in einem Clint Eastwood Western von meinem Buch auf und mustere diese mit der linken Hand gezeichnete Karikatur seiner selbst von oben bis unten. Die bartähnliche Wucherung auf der Oberlippe ist so groß wie ein Walross. Also… so groß wie das ganze Tier. Und der Bart hat zumindest auf der Brust Metastasen gestreut, wahrscheinlich auch noch woanders, aber dank des offenen Polohemds sieht man es hier halt gut.
Besagtes Polohemd besteht aus äquatorlangen Querstreifen in grün und violett. Eine durchaus modische Farbkombination, aber auch nur, wenn man Der Unglaubliche Hulk ist.

Darunter sieht man ein kleines bisschen zu viel von seiner ebenfalls bärtigen Plauze, wiederum darunter ist eine kurze Hose, daran eine dieser hässlichen Gürteltaschen mit Reißverschluss, das obligatorische Handyetui und ein weiteres Anhängsel für seine Zigaretten. Batman wäre stolz auf diesen Gürtel. Für die Kombination aus Socken und Sandalen würde sich Batman allerdings schämen. Und das protzige Mountain-Bike war auch nicht gerade ein würdiger Ersatz für das Batmobil. „Das ist kein Stuhl“, bemerkt er scharfsinnig.

„Ich weiß. Ich habe auf jemanden gewartet, und der Fahrradständer hier war frei, “ antworte ich und trete etwas zurück. Nicht so weit, dass man mich vom Hockenheimring hinter mir kratzen müsste, aber weit genug, damit der gallische Hulk, kurz Galk, sein Fahrrad an den einzigen Ständer ketten kann, den er heute bekommen wird. Er dankt es mir mit den Worten „Aber das ist kein Stuhl.“

Da hat er Recht. Des ungeachtet warte ich, bis er fertig ist und setze mich dann wieder auf den Fahrradständer. Dies passt offenbar nicht ganz in das Weltverständnis des Galk. Er starrt mich mit offenem Mund an. Ich wende mich gerade wieder meinem Buch zu, als er die Worte findet, die er gesucht hat: „He… also das ist ja…“

Ich gebe vor, davon erschreckt zu sein, zucke zusammen und stoße wie versehentlich gegen sein Fahrrad, das natürlich mit lautem Scheppern zu Boden geht. Ein Rad hängt immer noch auf Bodenhöhe am Fahrradständer. „Ups.“ Galk stürmt auf mich zu: „So eine Unverschämtheit. Was ist denn, wenn das jetzt verbogen ist?!“

Ich betrachte das Rad. Kein Kratzer. Wie geplant. Aber ich packe beherzt an, reiße das Gefährt wieder hoch und stelle es wieder auf, nicht ohne es noch einmal kräftig gegen den Ständer zu knallen. „Hach. Das war aber auch ungeschickt angeschlossen.“

Ich gehe demonstrativ zum nächsten Fahrradständer, wo der Rahmen des Rads oben an der Querstange des Ständers hängt und setze mich daneben, ohne das Rad zu bewegen. „Wenn man nicht zu blöd ist, sein Rad anzuschließen, passiert auch nichts.“

„Jetzt werd mal nicht frech!“ ruft er. Ich erinnere mich daran, wie man in solchen Situationen Gewalt vermeiden kann und rede leise, aber eskalierend auf ihn ein: „Fresse, Du Spasti. Fahr mal lieber nach Thailand und schwänger im Suff noch ‘ne 12jährige.“

Darüber, dass ich sein Lieblingshobby erraten habe, bleibt ihm offenbar die Luft weg. Er spielt seine Trumpfkarte aus: „Ich kann auch die Polizei holen, die nimmt dann Deine Personalien auf.“

Ich mache ein unschuldiges Gesicht. „Tut mir sehr leid, Ihre Zeit mit diesem Unfug zu vergeuden, aber der Herr hier hat sich in den Kopf gesetzt, dass ich sein Rad absichtlich umgeworfen habe, dabei musste ich einem Auto ausweichen, das mich fast überfahren hätte. Ich hab mich schon dreimal bei ihm entschuldigt, aber er ließ sich nicht davon abhalten, Sie dazuzuholen. Nein, dem Rad ist nichts passiert, wie Sie sehen.“

Der Unglaubliche Galk kneift die Augen zusammen. Ich würde ihn nicht mögen, wenn er wütend ist. Mir egal, ich mochte ihn schon vorher nicht. Ich grinse ihn provokativ an.
Er holt mit seiner rechten Faust aus und zielt auf mein Gesicht. Ich lasse mein Buch fallen, hebe beide Hände abwehrend und rufe laut:

„Bitte gehen Sie weg. Ich kenne Sie nicht. Ich will keinen Streit.“

Dann zwinkere ich ihm noch einmal heimlich zu, um mein Statement zu entkräftigen. Wichtig ist, dass die Zeugen hinterher sagen, dass ich alles getan habe, um eine Konfrontation zu verhindern. Galk stürzt mich auf mich. Ich weiche geschickt aus und lasse ihn gegen sein eigenes Rad knallen, das die Gelegenheit nutzt und noch einmal zu Boden fällt.

„Bitte lassen Sie mich in Ruhe. Ich will nur mein Buch aufheben, dann gehe ich.“ Sage ich laut.

„Deine Mutter wohnt auf Deiner Couch und macht es mit dem Pizzaboten, und Dein Vater wählt die FDP.“ Sage ich leise.

Das reicht. Mit einem Brüllen stürzt er sich auf mich. Ich bücke mich nach meinem Buch, und der Galk, bürgerlicher Name Heinz Jensen, stolpert über mich und fällt auf die Fahrbahn. Ein Knall. Jensen wird frontal von einem Bus erwischt. Er schreit vor Schmerzen auf. Dieser Schrei geht durch Mark und Bein und vermischt sich mit quietschenden Reifen, als der Bus anhält. An der Frontscheibe kleben Blut und Haare, und etwas, das wie Hirn aussieht. Heinz Jensen liegt auf der Straße, die Arme und Beine zu Posen angeordnet, die mit nicht gebrochenen Knochen unmöglich wären. Er weint vor Schmerzen, die Kontrolle über seine Exkremente hat er verloren, und sein gesamtes Gesicht ist blutüberströmt. Blut läuft ihm aus dem Mund, und er atmet rasselnd, blubbernd. Ich alarmiere sofort einen Rettungswagen per Handy. Bis der aber durch das Verkehrschaos durch ist, das der Bus angerichtet hat, ist Jensen mit weit aufgerissenen Augen an seinem eigenen Blut erstickt. Irgendwo weint ein kleines Kind.



Ja. Genauso würde ich Ihren Mann umbringen, Frau Jensen. In aller Öffentlichkeit, und trotzdem haben Sie nicht zu befürchten, dass der Verdacht auf Sie fällt. Bei einem Unfall erhöht sich die Summe, die Sie von der Lebensversicherung bekommen. Die 40%, die ich für den Auftrag bekomme, beziehen sich somit auf die erhöhte Summe. Nett, mit Ihnen Geschäfte zu machen.

16. August 2010

Der Schönste Tag

Der schönste Tag



Hey, unbekannte Person von der Haltestelle Boddinstraße. Das hier ist für Dich. Ich wünsche Dir, dass Du morgen den schönsten Tag Deines Lebens hast.

Du sollst um halb zehn aufwachen und Dich daran erinnern, dass Du morgen ja gar nicht arbeiten musst. Du döst dann noch ein oder zwei Stunden weiter und stehst auf, nur um festzustellen, dass das warme Licht der Sonne Dein Schlafzimmer auf angenehme 23° Celsius aufgewärmt hat - ohne Dich zu blenden. Ein Blick in den Kühlschrank offenbart noch drei Rollen Aufback-Croissants und verschiedene Gläser Marmelade, dazu Butter, Frischkäse, Nougatcreme, was immer Dein Herz begehrt. Du schiebst also ein Blech Croissants in den Ofen und gehst duschen. Im Radio laufen hintereinander vier Deiner Lieblingslieder, darunter eines, das Du schon seit zwölf Jahren nicht mehr gehört hast. Die Dusche hält die ganze Zeit konstant eine angenehme Temperatur, und als Du heraussteigst und Dich in einen flauschigen Bademantel hüllst, sind die Croissants gerade fertig.

Hey, unbekannte Person von der Haltestelle Boddinstraße, ich weiß nicht, wie Du heißt, aber ich wünsche Dir, dass Du morgen den schönsten Tag Deines Lebens hast.

Du ziehst nach dem Frühstück Deine Lieblingsklamotten an und gehst zum Briefkasten, um festzustellen, dass Du vier Millionen Euro im Lotto gewonnen hast, die Dir nächste Woche Montag von einem Geldboten überreicht werden. Du fährst daraufhin doch zur Arbeit und legst Deinem Chef die Kündigung und ein paar druckfrische Croissants auf den Schreibtisch. Dann drückst Du Deinem Schwarm aus der Buchhaltung, den Du Dich nie getraut hast, anzusprechen, einen dicken Kuss auf den Mund und schwebst aus dem Gebäude. Danach gehst Du erstmal shoppen.

Hey, unbekannte Person von der Haltestelle Boddinstraße. Du hast mit mir auf die U8 gewartet, und ich wünsche Dir, dass Du morgen den schönsten Tag Deines Lebens hast.

Der neue 3D-fähige Breitbildfernseher wird noch am gleichen Tag nach Hause geliefert, den Blu-Ray-Player und die Top30 Deiner Lieblingsfilme nimmst Du gleich mit. Du probierst die zwei Kleiderschränke voll neuer Klamotten an, während Du im Hintergrund nacheinander Deine Lieblingsszenen aus Deinen Lieblingsfilmen laufen lässt. Dann verabredest Du Dich mit Deinem Freundeskreis, um abends ordentlich zu feiern, natürlich in komplett neuer Garderobe.

Hey, unbekannte Person von der Haltestelle Boddinstraße. Du standest hinter mir am Fahrkartenautomaten, und ich hatte Dich erst gar nicht gesehen. Ich wünsche Dir, dass Du morgen den schönsten Tag Deines Lebens hast.

Das wird die größte Feier, die Du je gegeben hast. Du gibst eine Runde nach der anderen für den ganzen Club, und man trägt Dich auf Händen. Du hast auf der Toilette verdammt guten Sex mit gleich drei Personen hintereinander, und das innerhalb von nur zweieinhalb Stunden. Um kurz nach Mitternacht gehst Du dann vor die Tür, weil Deine Vodka-Red-Bulls nicht mehr im Körper bleiben wollen. Und da triffst Du dann auf mich. Und meine Hand trifft auf Dein Gesicht, als ich Dir zeige, was ich in meinem Krav Maga Kurs gelernt habe.

Hey, unbekannte Person von der Haltestelle Boddinstraße, die mir am Fahrkartenautomaten die EC-Karte geklaut hat. Ich wünsche Dir, dass Du morgen den schönsten Tag Deines Lebens hast... und danach nie wieder ein Tag auch nur annähernd so schön wird.

Übermorgen wirst Du auf der Straße in Deiner eigenen Kotze aufwachen, Dein Kopf ist größer als die Baustelle am Ostkreuz, und es wird keine Stelle Deines Körpers geben, die nicht schmerzt. Du wirst feststellen, dass Dir genau 348,23€ fehlen. Vielleicht kommt Dir der Betrag ja bekannt vor und Du erinnerst Dich an mich. Mit Mühe wirst Du Dich nach Hause schleppen, wo im Briefkasten ein Schreiben liegt, dass man leider einen Zahlendreher im System hatte, und nicht Du, sondern Dein Nachbar ein paar Häuser weiter das Geld gewonnen hat. Jede Deiner drei Eroberungen aus dem Club wird Dir was anderes mitgegeben haben. Tripper, Genitalwarzen... und HIV. Der Hautausschlag hingegen kommt davon, wenn man neue Kleidung vor dem ersten Tragen nicht wäscht. Dein Schwarm aus der Buchhaltung wird Dich aufgrund des Kusses wegen sexueller Belästigung am Arbeitsplatz verklagen. Deinen Job wirst Du nicht wiedersehen, und einen anderen findest Du nicht so schnell. Weil Du selbst gekündigt hast, kriegst Du auch keine Abfindung und kein Arbeitslosengeld. Und mit den ganzen Schulden von Deiner Shoppingtour kannst Du Dir von Hartz IV allein bald nicht mehr die Miete leisten. Oder den Strom für den Fernseher. Oder die Krankenversicherung. Und ohne Krankenversicherung sind die Aids-Medikamente leider zu teuer. Und der Zahnersatz. Und der Spruch "Genitalwarzen: das Noppenkondom der Natur" zieht bei Frauen auch nicht wirklich. Schade, netter Versuch. Du fliegst aus der Wohnung, aber nachdem die Gerichtsvollzieher mit Dir fertig waren, war eh nichts mehr von Wert übrig. Und wenn Du dann an der Haltestelle Boddinstraße stehst und Obdachlosenzeitungen verkaufst, kauf ich Dir eine ab.


Denn ich bin ja nicht nachtragend.