27. August 2010

How to Break a Streit vom Zaun

Ich stehe vor dem Arkaden-Einkaufszentrum und warte. Mit dem halben Arsch sitze ich auf dem einzigen freien Fahrradständer, und ich lese ein Buch. Zumindest versuche ich das, aber meine geradezu homöopathisch verdünnte Konzentration führt dazu, dass ich jeden Absatz zweimal lese.
Ich warte.

Vor mir ist ein ständiges Kommen und Gehen. Menschen betreten oder verlassen das Einkaufszentrum oder die angrenzende Sparkasse, um Geld einzuzahlen oder ihre Kontoauszüge daraufhin zu überprüfen, ob der diskrete Versand mit der Einzugsermächtigung als Verwendungszweck tatsächlich wie vereinbart Finanzdienstleistungen angegeben hat. Denn es ist schwer zu sagen, was peinlicher wäre: Der vollständige Titel Natur-Sekt Direkt Aus Prachtschwänzen… oder die Abkürzung… Aber ich schweife ab.

Ich stehe also noch immer vor dem Arkaden-Einkaufszentrum und warte. Mit dem halben Arsch sitze ich auf dem einzigen freien Fahrradständer, und ich lese ein Buch. Zumindest versuche ich das, aber meine geradezu homöopathisch verdünnte Konzentration führt dazu, dass ich jeden Absatz zw… das hatte ich doch schon.
Ich warte.

Hinter mir, hinter den Fahrradständern, ist die Straße. Und da brausen gerade an der auf grün springenden Ampel gefühlte viertausend Autos los, als gäbe es nur noch drei freie Plätze im Parkhaus des Bundesamtes für völlig sinnlose Bargeldverschenkung. Wenn man seine Lebenserwartung auf die Menge meiner verbliebenden Konzentration reduzieren wollte, dann wäre es nicht die schlechteste Idee, einfach zwischen die Autos von Nick Heidfeld und Fernando Alonso zu springen. Aber ich schweife ab.

Ich stehe also immer noch vor dem Arkaden-Einkaufszentrum und… ach, das ist doch albern.

Von rechts betritt ein… ich sag jetzt mal euphemistisch „Mensch“ mein Blickfeld. Etwa so groß wie Asterix, etwa die Figur von Obelix, und der sagenhafte Schnurrbart würde sich ebenfalls chamäleonartig in das Gallische Dorf einfügen. Oder in einen schlechten Porno aus den Siebzigern. Ich verliere mich gerade in Gedanken über eine Pornoparodie von Asterix, Arbeitstitel: Gangbang für Falbala, als mich der Mann, der an dem Schnauzbart dranhängt, eloquent und freundlich anspricht: „Ey.“

Ich sehe langsam wie in einem Clint Eastwood Western von meinem Buch auf und mustere diese mit der linken Hand gezeichnete Karikatur seiner selbst von oben bis unten. Die bartähnliche Wucherung auf der Oberlippe ist so groß wie ein Walross. Also… so groß wie das ganze Tier. Und der Bart hat zumindest auf der Brust Metastasen gestreut, wahrscheinlich auch noch woanders, aber dank des offenen Polohemds sieht man es hier halt gut.
Besagtes Polohemd besteht aus äquatorlangen Querstreifen in grün und violett. Eine durchaus modische Farbkombination, aber auch nur, wenn man Der Unglaubliche Hulk ist.

Darunter sieht man ein kleines bisschen zu viel von seiner ebenfalls bärtigen Plauze, wiederum darunter ist eine kurze Hose, daran eine dieser hässlichen Gürteltaschen mit Reißverschluss, das obligatorische Handyetui und ein weiteres Anhängsel für seine Zigaretten. Batman wäre stolz auf diesen Gürtel. Für die Kombination aus Socken und Sandalen würde sich Batman allerdings schämen. Und das protzige Mountain-Bike war auch nicht gerade ein würdiger Ersatz für das Batmobil. „Das ist kein Stuhl“, bemerkt er scharfsinnig.

„Ich weiß. Ich habe auf jemanden gewartet, und der Fahrradständer hier war frei, “ antworte ich und trete etwas zurück. Nicht so weit, dass man mich vom Hockenheimring hinter mir kratzen müsste, aber weit genug, damit der gallische Hulk, kurz Galk, sein Fahrrad an den einzigen Ständer ketten kann, den er heute bekommen wird. Er dankt es mir mit den Worten „Aber das ist kein Stuhl.“

Da hat er Recht. Des ungeachtet warte ich, bis er fertig ist und setze mich dann wieder auf den Fahrradständer. Dies passt offenbar nicht ganz in das Weltverständnis des Galk. Er starrt mich mit offenem Mund an. Ich wende mich gerade wieder meinem Buch zu, als er die Worte findet, die er gesucht hat: „He… also das ist ja…“

Ich gebe vor, davon erschreckt zu sein, zucke zusammen und stoße wie versehentlich gegen sein Fahrrad, das natürlich mit lautem Scheppern zu Boden geht. Ein Rad hängt immer noch auf Bodenhöhe am Fahrradständer. „Ups.“ Galk stürmt auf mich zu: „So eine Unverschämtheit. Was ist denn, wenn das jetzt verbogen ist?!“

Ich betrachte das Rad. Kein Kratzer. Wie geplant. Aber ich packe beherzt an, reiße das Gefährt wieder hoch und stelle es wieder auf, nicht ohne es noch einmal kräftig gegen den Ständer zu knallen. „Hach. Das war aber auch ungeschickt angeschlossen.“

Ich gehe demonstrativ zum nächsten Fahrradständer, wo der Rahmen des Rads oben an der Querstange des Ständers hängt und setze mich daneben, ohne das Rad zu bewegen. „Wenn man nicht zu blöd ist, sein Rad anzuschließen, passiert auch nichts.“

„Jetzt werd mal nicht frech!“ ruft er. Ich erinnere mich daran, wie man in solchen Situationen Gewalt vermeiden kann und rede leise, aber eskalierend auf ihn ein: „Fresse, Du Spasti. Fahr mal lieber nach Thailand und schwänger im Suff noch ‘ne 12jährige.“

Darüber, dass ich sein Lieblingshobby erraten habe, bleibt ihm offenbar die Luft weg. Er spielt seine Trumpfkarte aus: „Ich kann auch die Polizei holen, die nimmt dann Deine Personalien auf.“

Ich mache ein unschuldiges Gesicht. „Tut mir sehr leid, Ihre Zeit mit diesem Unfug zu vergeuden, aber der Herr hier hat sich in den Kopf gesetzt, dass ich sein Rad absichtlich umgeworfen habe, dabei musste ich einem Auto ausweichen, das mich fast überfahren hätte. Ich hab mich schon dreimal bei ihm entschuldigt, aber er ließ sich nicht davon abhalten, Sie dazuzuholen. Nein, dem Rad ist nichts passiert, wie Sie sehen.“

Der Unglaubliche Galk kneift die Augen zusammen. Ich würde ihn nicht mögen, wenn er wütend ist. Mir egal, ich mochte ihn schon vorher nicht. Ich grinse ihn provokativ an.
Er holt mit seiner rechten Faust aus und zielt auf mein Gesicht. Ich lasse mein Buch fallen, hebe beide Hände abwehrend und rufe laut:

„Bitte gehen Sie weg. Ich kenne Sie nicht. Ich will keinen Streit.“

Dann zwinkere ich ihm noch einmal heimlich zu, um mein Statement zu entkräftigen. Wichtig ist, dass die Zeugen hinterher sagen, dass ich alles getan habe, um eine Konfrontation zu verhindern. Galk stürzt mich auf mich. Ich weiche geschickt aus und lasse ihn gegen sein eigenes Rad knallen, das die Gelegenheit nutzt und noch einmal zu Boden fällt.

„Bitte lassen Sie mich in Ruhe. Ich will nur mein Buch aufheben, dann gehe ich.“ Sage ich laut.

„Deine Mutter wohnt auf Deiner Couch und macht es mit dem Pizzaboten, und Dein Vater wählt die FDP.“ Sage ich leise.

Das reicht. Mit einem Brüllen stürzt er sich auf mich. Ich bücke mich nach meinem Buch, und der Galk, bürgerlicher Name Heinz Jensen, stolpert über mich und fällt auf die Fahrbahn. Ein Knall. Jensen wird frontal von einem Bus erwischt. Er schreit vor Schmerzen auf. Dieser Schrei geht durch Mark und Bein und vermischt sich mit quietschenden Reifen, als der Bus anhält. An der Frontscheibe kleben Blut und Haare, und etwas, das wie Hirn aussieht. Heinz Jensen liegt auf der Straße, die Arme und Beine zu Posen angeordnet, die mit nicht gebrochenen Knochen unmöglich wären. Er weint vor Schmerzen, die Kontrolle über seine Exkremente hat er verloren, und sein gesamtes Gesicht ist blutüberströmt. Blut läuft ihm aus dem Mund, und er atmet rasselnd, blubbernd. Ich alarmiere sofort einen Rettungswagen per Handy. Bis der aber durch das Verkehrschaos durch ist, das der Bus angerichtet hat, ist Jensen mit weit aufgerissenen Augen an seinem eigenen Blut erstickt. Irgendwo weint ein kleines Kind.



Ja. Genauso würde ich Ihren Mann umbringen, Frau Jensen. In aller Öffentlichkeit, und trotzdem haben Sie nicht zu befürchten, dass der Verdacht auf Sie fällt. Bei einem Unfall erhöht sich die Summe, die Sie von der Lebensversicherung bekommen. Die 40%, die ich für den Auftrag bekomme, beziehen sich somit auf die erhöhte Summe. Nett, mit Ihnen Geschäfte zu machen.

Keine Kommentare: