People
try to put us down
just
because we get around.
Things
they do look awful cold
hope
I die before I get old.
Zeilen
aus einem der Lieblingslieder meines Vaters: My Generation. Als der
britische Musiker Pete Townshend das Lied 1965 schrieb, war er 20
Jahre alt. Mein Vater war zu dem Zeitpunkt 14. Townshend ging es bei
dem Lied um die Suche der Jugend nach ihrem Platz in der
Gesellschaft, und um die Hindernisse, die ihr die Gesellschaft in den
Weg stellt. Werner konnte sich gut damit identifizieren. Seine Mutter
musste sich um seinen Vater kümmern, dieser war alt, krank und
brauchte Ruhe. Doch Werner war nie ruhig. Er war wild, wusste nicht,
wohin mit seiner Energie. Und so eckte er ständig an und fing sich
Strafen und auch Prügel ein. Und er redete sich ein, dass die ganze
Welt gegen ihn sei.
„People
try to put us down, just because we get around.“
Doch
er war kein böses Kind. Er kümmerte sich rührend um seine kleine
Schwester Ele. Er beschützte sie. Er fuhr mit ihr Roller. Als ihre
Mutter entschieden hatte, dass Ele zu groß für Ostern war, besorgte
Werner selbst ein Osternest und versteckte es für sie.
Der
Vater der beiden starb 1963, lange bevor Townshend auch nur die Idee
zu My Generation hatte. Und schon wieder muss sich Werner ungerecht
behandelt gefühlt haben. Ich weiß, dass ich mich im Moment
ungerecht behandelt fühle, und mein Vater war damals zwanzig Jahre
jünger als ich es jetzt bin.
Und
wie die Jugend in Townshends Lied suchte auch mein Vater seinen Platz
in einer Welt, die gegen ihn war, zumindest aus seiner subjektiven
Wahrnehmung. Eher unfreiwillig machte er eine Ausbildung zum Friseur,
aber er spürte keine Verbindung zu diesem Beruf, keine Leidenschaft.
Zu einem Abschluss brachte er die Ausbildung nie.
Auch
die Bundeswehr gefiel ihm nicht. Aber diese Zeit hatte Folgen. Denn
Werner begann dort mit dem Trinken. Eine Sucht, die ihn
jahrzehntelang im Griff hatte und die seinem Leben einige weitere
Hindernisse in den Weg stellte. Er verlor mehrfach den Führerschein,
mehrfach seinen Job, als Mechaniker, Hausmeister, Fernfahrer und
mehr. Ereignisse, die er natürlich meistens dem Rest der Welt in die
Schuhe schob.
„Things
they do look awful cold.“
Als
ich geboren wurde, besaß Werner die Weisheit, einzusehen, dass er
unter dem Einfluss von Alkohol kein guter Vater sein würde, und er
gab mich in die Obhut seiner Mutter, die mittlerweile erfahrener war
– und nicht mehr mit der Pflege eines kranken Mannes ausgelastet.
Ich werde ihm für diese Entscheidung immer dankbar sein.
Es
dauerte bis 1998, bis Werner die Kraft gefunden hatte, mit dem
Trinken aufzuhören. Und von da an - bis zu seinem Tod - hat er
keinen Tropfen Alkohol mehr angerührt. Und es ging aufwärts. Die
Arbeit im Modelleisenbahnladen und im Parkhaus, die neue Wohnung, die
Mitgliedschaft im Modelleisenbahnclub, das Herumschrauben am Simca.
2004 hat er es sogar geschafft, den Krebs zu besiegen, der sich in
seiner Schilddrüse eingenistet hatte. Als ich dann nach meiner
Rückkehr aus Berlin eine Wohnung brauchte, hat er mich eine Weile
bei sich einziehen lassen. Zum ersten Mal seit einem
Vierteljahrhundert wohnte ich bei meinen Eltern.
Er
machte ein letztes Mal den Führerschein und freute sich auf die
Rente. Von der er nun leider nicht mehr viel hatte.
Natürlich
kann man spekulieren, ob das Leben meines Vaters ohne den Alkohol
anders ausgesehen hätte. Vielleicht wäre er heute noch Mechaniker,
oder Hausmeister, oder etwas ganz anderes. Aber ob er dann auch die
gleichen Freunde gehabt hätte? Ob er meine Mutter kennengelernt
hätte? Ob es mich überhaupt geben würde? Ob er auch ohne den Umweg
über die Sucht und das Besiegen dieser Sucht jemals glücklich
geworden wäre? Wir werden es nie erfahren, und es ist auch
irrelevant. Denn es war nun einmal ein Teil seines Lebens, und das
wichtige ist: Am Ende war er stärker als der Alkohol.
Und
es hat lange gedauert, aber er hatte endlich seinen Platz in der Welt
gefunden. Er war glücklich.
„Hope
I die before I get old“ bedeutete laut Townshend nicht die Hoffnung
auf einen frühen Tod, sondern auf einen Tod, bevor Reichtum die
Möglichkeit hat, den Charakter zu verderben. Aber egal, ob man die
Zeile wörtlich oder metaphorisch auffasst, Werner hat beides
geschafft. Pünktlich zum Beginn der Rente verstarb er mit gerade
einmal 60 Jahren. Nach fataler und bis heute nicht nachvollziehbarer
Fehlkommunikation im Krankenhaus entließ er sich selbst nach Hause,
ohne von der schweren Lungenentzündung zu wissen, die die Ärzte
dort zu diesem Zeitpunkt bereits diagnostiziert hatten. Und an deren
Folgen er eine Woche später verstarb.
Aber
in uns allen wird er weiterleben.
Vor
allem in mir – der „Next Generation.“