1. Dezember 2008

Night before Christmas of the Living Dead.

Night before Christmas of the Living Dead.

Kai-Uwe Schmottlach war der schlechteste Kaufhausweihnachtsmann der Welt. Dabei ist der Job als solches nicht wirklich schwer. Winken, mit tiefer Stimme „Ho! Ho! Ho!“ rufen, hinsetzen und ein paar Kinder fragen, was sie sich denn zu Weihnachten wünschen. Gute Kaufhausweihnachtsmänner erweitern die Standardphrasen wie „Bist Du denn auch brav gewesen“ gerne um etwas Kinder-Smalltalk nach dem Lieblingstier oder Berufswunsch, oder fragen, warum genau sich der neunjährige Justin mit den blauen Flecken am Arm denn statt einer Nintendo Wii oder einem Lego-R2D2 ausgerechnet waffenfähiges Plutonium wünscht. Andere Kaufhausweihnachtsmänner zeichnen sich durch ihr Aussehen aus: Dicke, weißhaarige Männer mit echtem Rauschebart und roter Nase, denen man den Santa Claus auch ohne Kostüm abnimmt.

Kai-Uwe Schmottlach hatte keine dieser Qualitäten. Er war schlank, groß, hatte wilde, rote Haare, Sommersprossen und eine unangenehm hohe Stimme, und seine Professionalität gegenüber den Kindern beschränkte sich darauf, keinen Ständer zu bekommen, wenn achtjährige Schülerinnen auf seinem Schoß platznahmen. Und das war es dann auch schon. Santa Kai-Uwe hörte den Kindern nicht zu, vergaß ihre Namen, beleidigte ihre Eltern, bohrte vor ihnen in der Nase, flitschte die Popel in die Menge, und sein Tourette-Syndrom manifestierte sich in un-kon-trol-lier-ten Be-we-gun-gen und spontan aus ihm herausbrechendem Pfeifen *flöt*.

Personalchef Manfred Linsenmaier stand allerdings vor einem Problem. Kai-Uwe Schmottlach war der Sohn des Kaufhausbesitzers. Er konnte die Vogelscheuche nicht einfach vor die Tür setzen, wenn er nicht bei der Gelegenheit selbst seinen Hut nehmen wollte. Natürlich hätte er die Sache dann vor Gericht bringen können, aber die Mühe war es ihm nicht wert. Immerhin war ja sowieso bald Weihnachten, und dann ist das Problem ja sowieso wieder für elf Monate aus der Welt. Und so wurde es zu einem täglichen Ritual, abends Schmottlach!!! in sein Büro zu zitieren, ihm eine Liste vorzulegen, was er heute wieder falschgemacht hat, ihm zuzuhören, wie er mit seiner Fistelstimme pfeifend Besserung – *flöt* - gelobte, bloß um am nächsten Tag alles noch schlimmer zu machen.

Eines Samstags, kurz vor Weihnachten, war Linsenmaier dann irgendwann mit seiner Geduld am Ende. Wieder einmal zitierte er Schmottlach!!! in sein Büro, wieder einmal führte die Diskussion zu nichts. Mittlerweile hatte Schmottlach die Grenzen weit genug ausgelotet, um festzustellen, dass er aufgrund seines Familienstammbaums praktisch unkündbar war. Und so langsam machte ihn das größenwahnsinnig und ziemlich streitlustig. Er schnappte sich einen kugelrunden Briefbeschwerer und legte die Füße auf den Tisch und kippelte mit dem Stuhl, immer noch im Weihnachtsmannkostüm. Sehr zu Linsenmaiers Unwillen spielte er mit dem Briefbeschwerer herum, warf ihn ein Stück in die Luft und fing ihn wieder. Auf ein unwirsches „Legen Sie den Briefbeschwerer wieder hin!“ holte Schmottlach nur mit der Kugel aus und tat, als wollte er ihn Linsenmaier an den Kopf werfen. Linsenmaier war unbeeindruckt, ließ sich nichts anmerken, zuckte nicht zusammen. Schmottlach jedoch zuckte sehr wohl. Fast wäre ihm die Kugel aus der Hand geglitten, und der Briefbeschwerer wäre am Kopf seines Personalchefs gelandet. Gerade eben konnte er das Ding noch in der Hand behalten, dadurch verlor er allerdings sein Gleichgewicht und kippte mitsamt dem Stuhl um. Die schwere Glaskugel flog doch noch durch den Raum, allerdings gerade nach oben.

Krach! Schmottlach schlug mit einem dumpfen Knall mit dem Hinterkopf auf dem Fußboden auf.

Krach! Die Kugel landete mitten auf seiner Stirn.

Schmottlach!!!

Doch Kai-Uwe Schmottlach rührte sich nicht mehr.
Manfred Linsenmaier geriet in Panik. Er versuchte, den Puls zu fühlen, aber da war nichts mehr. Eine klebrige Flüssigkeit lief aus Schmottlachs Kopf und färbte seine Nikolausmütze etwas dunkler. Linsenmaier ging die Fakten durch. Schmottlach wurde in seinem Büro durch seinen Briefbeschwerer getötet, an dem unter anderem seine Fingerabdrücke waren, und sämtliche Kaufhausangestellten wussten von seinem Problem mit Schmottlachs mangelndem Respekt, aber auch von Linsenmaiers Temperament. Das sah nicht gut aus.

Hmmm... Alle anderen Angestellten hatten schon Feierabend. Und morgen ist Sonntag, da ist sowieso geschlossen. Vor Montag wird niemand Schmottlach vermissen, und selbst dann wird sich jeder denken, Schmottlach sei halt ein unzuverlässiger Drecksack. Linsenmaier merkte, er musste einfach nur die Leiche verschwinden lassen und alle Spuren beseitigen. Ist letztlich wohl sowieso die beste Lösung für alle.

Es war zwei Uhr nachts. Auf dem Gelände hinter dem Atomkraftwerk vor der Stadt. Linsenmaier öffnete den Kofferraum seines Wagens und holte eine Spitzhacke und einen Spaten heraus. Er hob eine Grube aus, warf Schmottlachs Leiche hinein – immer noch im Weihnachtsmannkostüm – und schaufelte die Grube wieder zu. Hier würde ihn niemand suchen, hier würde ihn niemand finden. Und irgendwann mitte nächster Woche könnte er dann eine Vermisstenanzeige aufgeben. Wie das Atomkraftwerk hinter ihm strahlte er vor Glück.

Montag. Das Kaufhaus öffnete, Linsenmaier ging wie gewohnt zur Arbeit. Nachmittags sollte der Weihnachtsmannstand wieder geöffnet werden. Wie erwartet war Schmottlach nirgendwo zu sehen. Linsenmaier bestimmte einen Azubi als Aushilfsweihnachtsmann. Die Kinder bildeten eine Schlange, und alles verlief nach Plan.

Bis Schmottlach auftauchte. Sein Weihnachtsmannkostüm war voller Blut, Erde und Grasflecken. Sein Blick war leer. Seine Bewegungen noch abgehackter als sonst. Er schlurfte langsam zu seiner Vertretung, sehr zur Verwunderung der Kinder. Dann öffnete er den Mund... und biss seine Vertretung in den Kopf. Blut und Hirnmasse liefen ihm in Strömen über das Kinn, und das Schmatzen vertrieb selbst den blinden Jungen in der letzten Reihe.

Linsenmaier war kurz gelähmt, dann kam ihm eine Idee. Was immer mit Schmottlach los war, er war zu keinem klaren Gedanken mehr fähig. Andererseits konnte sein Gehirn noch immer die Bewegungen steuern, zu Instinktverhalten war er fähig.

Linsenmaier spitzte die Lippen.

*Flöt*

Schmottlach reagierte. Langsam drehte er sich um, leckte sich das Hirn von den Lippen und antwortete:

*Flöt*

Mit viel Geduld schaffte es Linsenmaier, eine rein auf Pfeifen basierende Kommunikation zu entwickeln.

Zwei Wochen später wurde Schmottlach Mitarbeiter des Monats. Er arbeitet jetzt am Schalter für Kundenbeschwerden.