28. August 2009

Acedia

Kurzes Intro: Das S.I.N. in Berlin hat im Moment arge finanzielle Probleme. Was verdammt schade ist, weil es eine verdammt geniale Location an der Grenze zwischen Neukölln und Kreuzberg ist, in der ich unter anderem beim ersten Anti-Slam mitmachen durfte. Und um den Laden zu retten, hat Paul Salamone für heute abend den "Save the S.I.N." Abend organisiert, bei dem Autoren, Sänger und andere Kleinkünstler gratis auftreten. Unter anderem bin ich auch dabei. Und weil das ganze ein Themenabend zu den Sieben Todsünden ist, habe ich dazu eine kleine Geschichte geschrieben.



Und Gott sprach: ES WERDE LICHT. Und es ward Licht. Und die, auf die dieses Licht fiel, waren verärgert und wuselten herum auf der Suche nach Deckung. Aber es gab keine Deckung, denn Bäume, Felsen, Tiere, all das war noch nicht erschaffen. Und sie sahen auf ins Licht, und sie verfluchten Seinen Namen. Und er nahm sie und sperrte sie in eine Büchse. Sie, die sieben Schwestern. Einst waren sie Nymphen: Superbia, die Schönheit. Luxuria, die Geborgenheit. Ira, das Temperament. Gula, der Genuss. Die Zwillinge Avaritia, Ehrgeiz, und Invidia, Wettstreit. Und Acedia, die Bescheidenheit.

Aber der Fall hatte sie verändert. Schönheit wurde Eitelkeit, Geborgenheit wurde Verlangen, Temperament wurde Zorn, Genuss wurde Maßlosigkeit, Ehrgeiz wurde Gier, Wettstreit wurde Missgunst. Und Bescheidenheit? Bescheidenheit blieb Bescheiden. Sie wollte damals sowieso nicht bei dieser Rebellion mitmachen, aber ihre Schwestern hatten sie mitgeschleift, es sei zu ihrem Besten. Von wegen. Und so saß Acedia nun mit im Gefängnis und litt. Ira regte ihren Zorn an ihr ab. Gula nahm ihr das Essen weg, Avaritia und Invidia alles andere. Was Luxuria mit ihr anstellte, wollt ihr gar nicht wissen.

Aber dann kam der Tag, an dem Pandora die Büchse öffnete und das Unheil über die Welt brachte. Im Laufe der Jahrtausende waren die Nymphen zu Sirenen ausgewachsen, und davon zogen jetzt sechs los um die Welt zu unterjochen. Bloß eine blieb freiwillig in der Büchse zurück. Acedia. Die Bescheidene. Sie hatte ja alles, was sie brauchte. Was sollte sie in der Welt der Sterblichen?

Doch dann kam Er. „WO SIND DEINE SCHWESTERN?“
„Bin ich meiner Schwestern Hüter? Ich weiß auch nicht, die sind halt weg. Jetzt hab ich endlich meine Ruhe.“
„DU WILLST DEINE RUHE?“
Er packte sie zwischen Daumen und Zeigefinger, holte sie aus der Büchse und sprach: „SPERR DEINE SCHWESTERN WIEDER EIN, DANN HAST DU RUHE.“

Und so zog Acedia los, um ihre Schwestern zu finden. Die erste war nicht zu übersehen. Superbia, die Eitle. Sie hatte sich einen Tempel bauen lassen, wo ihrer Schönheit gehuldigt wurde. Und sie schminkte sich. Und sie frisierte sich. Und sie erbrach sich. Und sie ließ unzählige Modedesigner Kleider für sie entwerfen.

Und Acedia sprach: „Warum die Mühe? Wärst Du nicht auch ohne Schminke, ohne Haarspray, ohne Pfauenfeder und ohne all diese Kleider die Schönste auf der Welt? Wenn Du mich fragst, ist der ganze Aufwand hier nur Zeitverschwendung.“

Superbia antwortete: „Aber wenn ich mir diese Arbeit nicht mache, macht sie sich vielleicht eine andere, und dann bin ich nicht mehr die Schönste auf der W... Moment, Du hast Recht, Schwesterherz. Das geht ja gar nicht. Nichts ist schöner als ich.“

Acedia erwiderte: „In diesem Gefäß ist das einzige, was schöner ist als Du. Wenn Du das vernichtest, dann bist Du auf ewig die Schönste und brauchst Dir gar keine Mühe mehr zu machen.“

„Was?“ fragte Superbia. „Schöner als ich? Nichts ist schöner als ich! Lass sehen!“ Und sie sprang in die Büchse. Und es stimmte. Nichts war schöner als sie. Und in der Büchse war... Nichts.

Acedia schloss die Büchse und lächelte. Dann zog sie weiter.


Die zweite Schwester war Luxuria, die Lüsterne. Auch sie hatte sich einen Tempel bauen lassen, in dem sie angebetet wurde. Und sie mühte sich tagaus, tagein ab, neue Reize, neue Kicks zu finden. Männer, Frauen, Greise, Kinder, Tiere, Pflanzen, vibrierende kleine Apparate in allen Formen und Farben.

Und Acedia sprach: „Warum die Mühe? Warum suchst Du Dir einen sterblichen Partner nach dem anderen? Würde es nicht reichen, bis ans Ende aller Tage mit dem schönsten aller Wesen zusammen zu sein? Wenn Du mich fragst, ist der ganze Aufwand hier nur Zeitverschwendung.“

Luxuria antwortete: „Du hast Recht, Schwesterherz. Für mich ist das Beste gut genug. Und wenn ich das Beste habe, brauche ich mir die Mühe hier gar nicht mehr zu machen. Du hast das schönste Wesen da drin? Lass sehen!“

Und sie sprang in die Büchse. Und es stimmte. Nichts war schöner als Superbia.

Acedia schloss die Büchse und lächelte. Dann zog sie weiter.

Die dritte Schwester war Ira, die Zornige. Sie hatte sich keinen Tempel bauen lassen, sondern ließ Tempel zerstören. Auf ihren Befehl hin legten ganze Armeen alles in Schutt und Asche und wandten sich dann gegeneinander.

Und Acedia sprach: „Warum die Mühe? Warum machst Du Dir die Arbeit, all die Sterblichen Geschöpfe zu bestrafen? Wäre es nicht weniger Arbeit, Dir einen Unsterblichen zu suchen? Einen, den Du in alle Ewigkeit bestrafen kannst? Hier in der Büchse habe ich gleich zwei, und eine davon könnte Deine Strafen vielleicht sogar genießen. Und die andere? Die nicht.“ :)

Ira antwortete: „Du hast Recht, Schwesterherz. Wenn ich Unsterbliche bestrafen kann, brauche ich mir die Mühe hier gar nicht mehr zu machen. Und die hast Du da drin? Lass sehen!“

Und sie sprang in die Büchse. Und es stimmte. Luxuria genoss Iras Peitschenhiebe. Superbia... nicht.

Acedia schloss die Büchse und lächelte. Dann zog sie weiter.

Und sie lockte Gula in die Büchse mit dem Versprechen, darin den größten Genuss zu erleben. Wozu sich die Mühe machen und nach anderen Genüssen suchen?

Und sie lockte Avaritia in die Büchse mit dem Versprechen, darin das wertvollste Gut zu finden. Und darin war: Familie.

Und sie lockte Invidia in die Büchse mit dem Versprechen, dass Avaritia darin das wertvollste Gut besäße.

Und so war Acedia endlich wieder alleine und hatte ihre Ruhe. Doch ihre Reisen, ihre Abenteuer, hatten sie verändert. Sie war nicht mehr länger die Bescheidenheit. Nein, Acedia war die Faulheit geworden. Sie dachte kurz darüber nach, die Welt zu unterjochen, aber es war zuviel Aufwand. Aber dann passierte etwas unvorhergesehenes: Ohne die anderen Schwestern hatten die Menschen keine Sünden, aber auch keine Motivation mehr. Ohne das Verlangen, der Schönste zu sein, ohne Lust, ohne Zorn, ohne Hunger, ohne Gier, ohne Neid blieb den Menschen gar nichts anderes übrig als nichts zu tun. Und Faulheit regierte die Welt.

Und Gott sah, dass es gut war.

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