21. März 2009

Glaubenskrise

Und der zweite SF-Text für den Slam heute abend.

Glaubenskrise

Bruder Benedikt war zwar gläubig, aber nicht dumm. Er wusste, dass die Welt nicht in sieben Tagen entstanden war. Er wusste, dass der Mensch nicht aus Lehm geformt wurde, sondern die Evolution den Homo Sapiens vom Einzeller über den Mehrzeller, über den Quastenflosser, die ersten Säugetiere und so weiter entwickelt hatte. Aber das hieß ja nicht, dass Gott nicht dahinter steckte. Immerhin gab es in der Evolution ja enorme Sprünge. Der am besten angepasste Organismus gibt sein Erbmaterial weiter. Aber wer, wenn nicht Gott, sorgte denn dafür, dass einzelne Organismen plötzlich besser angepasst waren? Dass sich so hochkomplizierte Gebilde wie ein Auge oder der Gleichgewichtssinn über zahllose Generationen hinweg entwickeln, lange bevor sie funktionieren und der Träger der jeweiligen Gene einen Vorteil durch sie erlangt? Wer, wenn nicht Gott, hat uns denn die Fähigkeit gegeben, miteinander zu kommunizieren und unser Wissen auszutauschen? War die Seele Teil der natürlichen Selektion?

Nein, für Bruder Benedikt war eins klar: Auch wenn die frühen Kapitel der Bibel teilweise eher metaphorisch aufzufassen sind und mit den begrenzten wissenschaftlichen Mitteln der damaligen Zeit Antworten auf Fragen nach der Entstehung der Erde oder der einzelnen Arten bieten sollten, so zweifelte er nicht an der Wahrheit der späteren Bücher der Bibel. Er glaubte, dass Gott Moses half, sein Volk aus der Sklaverei in Ägypten zu befreien und zum gelobten Land zu führen. Dass er zu Jonas, Jeremiah und Jesaja sprach. Dass er sich selbst als seinen Sohn zu uns schickte und opferte, um die Sünden der Menschen auf sich zu nehmen. Auch wenn Gott uns nicht wie einen Golem aus Ton formte, oder aus einer Rippe, so sind wir doch seine Kinder, nach seinem Bild erschaffen. Die Krone der Schöpfung.

Man kann sich also Bruder Benedikts Verwunderung vorstellen, als er eines Tages im Klostergarten ein metallenes Ei von der Größe eines Kleinwagens fand. Es war glatt und völlig gleichmäßig, Benedikt konnte keine Spalten, Scharniere oder Schrauben erkennen. Und doch teilte es sich in zwei Hälften wie eine Kinderüberraschung, als Benedikt vorsichtig näher kam. Der Inhalt des Objektes machte es nicht besser: Ein Lebewesen mit großem, halb durchsichtigen Kopf und zahllosen kleinen Tentakeln wie eine Qualle. Es hatte drei riesige Augen, gleichmäßig um den Kopf herum verteilt, und blinzelte ihn an. Auf der Ei-Innenseite leuchteten diverse Lichter und Bildschirme.

Bruder Benedikt blieb stehen. Er legte vorsichtig seinen Rechen zu Boden, damit das Wesen diesen nicht für eine Waffe hielt. Dann machte er das Kreuzzeichen, räusperte er sich und wandte das Wort an sein groteskes Gegenüber.

"Kannst Du mich verstehen?"

Das Wesen reagierte nicht, blinzelte ihn bloß weiter an. Dann streckte es seine Tentakel aus und berührte damit unterschiedliche Schaltflächen.

"Mein Name ist Benedikt. Wer bist Du, und wo kommst Du her?"

Es brauchte noch ein paar Minuten, bis das Raumschiff genügend Sprachdaten von Benedikt gesammelt hatte, um rudimentär dolmetschen zu können. Dazu wandelte es Benedikts Fragen in Farben um, die einer der Monitoren anzeigte. Das quallenartige Wesen antwortete, indem sein Kopf in unterschiedlichen Farbtönen leuchtete, was das Schiff wiederum in für Benedikt verständliche Sprache umwandelte.

NAME IST [unübersetzbar]. KOMME VON PLANET [unübersetzbar]. KOMME IN FRIEDEN. TEIL EINER GRUPPE WISSENSCHAFTLER. ZIEL NEUE PLANETEN FINDEN. DENN [unübersetzbar] ÜBERBEVÖLKERT. TELESKOP SAH DEINEN PLANET. EIN GROSSES LAND, REST WASSER, MÜSSEN NICHT [unübersetzbar]FORMEN. 300 MILLIONEN LICHTJAHRE MIT RAUMKRÜMMUNG ÜBERBRÜCKT. PLANET SIEHT AUS NÄHE UNERWARTET AUS.

Benedikt überlegte.
"Wenn Dein Planet 300 Millionen Lichtjahre entfernt ist, dann haben Eure Teleskope 300 Millionen Jahre alte Bilder eingefangen. Das war ja noch vor den Sauriern!"

VERÄNDERUNGEN MIT EINGERECHNET, AUSMASS HAT TROTZDEM ÜBERRASCHT. KEIN ANDERER BEKANNTER PLANET HAT SICH SO SCHNELL ENTWICKELT WIE… ERDE. ERDENSPEZIES MACHT SCHRITTE INS ALL. HINTERLASSEN DABEI SCHROTT. ALTE TREIBSTOFFTANKS, SATELLITEN… BEI WIEDEREINTRITT AUS HYPERRAUM WURDE DAVON SCHIFF BESCHÄDIGT. KONNTE MIT RETTUNGSKAPSEL MEIN LEBEN RETTEN. BRAUCHE HILFE. BRAUCHE WASSER.

Benedikt griff nach der Gießkanne und lief zum Klosterteich. Dort angekommen, füllte er die Kanne mit Wasser und machte sich auf den Rückweg. Erst jetzt erholte er sich langsam von seinem Schock und zählte zwei und zwei zusammen. Ein außerirdisches Lebewesen. Ein Wesen von einem anderen Planeten, mit Bewusstsein, mit der Fähigkeit zu kommunizieren. Und technisch weitaus fortgeschrittener als Menschen. Aber wie kann das sein? Hatte Gott uns nicht nach seinem Ebenbild erschaffen? Sind wir nicht seine geliebten Kinder? Aber wer waren denn dann die? Und davon mal abgesehen: Was wird denn passieren, wenn es bekannt wird, was hier im Klostergarten gelandet ist?
Dies war eine zynische Welt, und es gab kaum noch Menschen, die an Gottes Liebe glaubten. Im Vatikan wurden schwer nachvollziehbare Entscheidungen getroffen. Wenn jetzt bekannt würde, was Bruder Benedikt hier gefunden hat, gäbe es erst recht eine weltweite Glaubenskrise. Die Bibel erwähnt kein Leben auf anderen Planeten, also würde die breite Masse vermutlich einen Widerspruch sehen. Und in der aktuellen Zeit könnte das ein Widerspruch zuviel sein. Er musste den Außerirdischen irgendwie loswerden, bevor ein anderer Bruder ihn fand und womöglich die Medien verständigte.
Er holte eine Bibel aus seinem Habit und schlug wahllos eine Stelle auf. Eine liebgewonnene Gewohnheit in Situationen, in denen Benedikt nicht weiterwusste.

Psalm 139, 19 bis 22
19Ach Gott, dass du den Gottlosen tötetest und die Blutgierigen von mir weichen müssten! 20Denn sie empören sich arglistig wider dich; deine Feinde erheben ihre Hand zur Lüge. 21Sollte ich nicht hassen, die dich, HERR, hassen, und keinen Abscheu empfinden vor deinen Widersachern? 22Ich hasse sie mit vollkommenem Hass, sie sind mir zu Feinden geworden.

Wie konnte dieses groteske Geschöpf ein Werk Gottes sein?
Er leerte die Gießkanne auf dem Rasen. Dann ging er zu dem kleinen Schuppen, in dem in den Wintermonaten der Grill gelagert wurde, um das Wasser in der Kanne mit flüssigem Grillanzünder zu ersetzen. "Du sollst nicht töten" bezog sich auf Menschen, nicht auf Tiere, folglich auch nicht auf dreiäugige Quallen aus dem Weltall.
Er sprach noch ein Gebet und ging zurück zum Raumschiff. Mit Tränen in den Augen übergoss er das Wesen mit dem Inhalt der Kanne. Er wollte es nicht tun, aber es war der einzige Weg. Das Wesen leuchtete in den kräftigsten Farben.

NEIN. NICHT. [Unübersetzbar], HILFE!

Benedikt griff nach der Spitzhacke und erschlug den Besucher. Dieser blinkte noch einmal in den lautesten Farben auf und wurde dann langsam blass. Der Bordcomputer übersetzte sein Todesröcheln:

GLAUBE AN [Unübersetzbar], VATER, ALLMÄCHTIG. SCHÖPFER VON HIMMEL UND [Unübersetzbar]. UND AN [Unübersetzbar], SEINEN EINGEBORENEN SOHN, UNSEREN HERRN…

Keine Kommentare: